Dienstag, 30. Dezember 2014

Zwischen den Jahren - oder: Nach-Denkliches aus dem Iglu

Winter

Wenn sich das Laub auf Ebnen weit verloren,

So fällt das Weiß herunter auf die Tale,
Doch glänzend ist der Tag vom hohen Sonnenstrahle,
Es glänzt das Fest den Städten aus den Toren.

Es ist die Ruhe der Natur, des Feldes Schweigen
Ist wie des Menschen Geistigkeit, und höher zeigen
Die Unterschiede sich, daß sich zu hohem Bilde
Sich zeiget die Natur, statt mit des Frühlings Milde.

d. 25 Dezember 1841.
Dero
untertänigster
Scardanelli.

 
          Friedrich Hölderlin (Späteste Gedichte) 

                                           *

          "...und das Licht scheint in der Finsternis,
          und die Finsternis hat es nicht ergriffen."

          (Die Bibel, Johannes 1;5)




Ungewohnt silberweiß gefiltertes Licht dringt durch meine zugeschneiten Dachfenster. Eigentlich hatte ich diesen Augenblick gefürchtet. Es ist erst der zweite Winter, den ich in diesem Domizil verbringe, und der letzte war schneelos. Nun stelle ich zu meinem Verwundern fest, dass es mir in meinem "Iglu" sehr gut gefällt, dass ich mit der Stille, die sich mit dem sich ausbreitenden, alle Laute schluckenden Schnee, in einem anderen Rhythmus zu atmen beginne und allmählich aufhöre, mich zu fragen, ob ich mir dies leisten kann.



Schneller als erwartet ist es Winter geworden, und ich versuche, mir die Weihnachtszeit noch ein wenig zu erhalten, die mancher längst beiseite gelegt hat, müde des Überdrusses, die sie mit sich bringt. Der Überdruss vor dem Zuviel, ihrer bizarren Kommerzialisierung und der zelebrierten Verlogenheit, die einem die einst geliebten, kostbaren Adventstage Jahr um Jahr unerträglicher macht und in geradezu gruseligen Weihnachtsansprachen gipfelt.





Mit dem Heiligabend jedoch scheint alles seltsam jäh zu enden. Selbst der Pfarrer im Weihnachtsgottesdienst in meiner Heimatkirche, in den ich mich hoffnungsvoll begeben hatte, da noch ganz erfüllt von der vorausgehenden, sehr stimmungsvollen Mette, die - um 24 Uhr, wie es sich gehört - allerdings in einem anderen, nicht weniger liebenswerten Kirchlein auf der anderen Seite des Neckars stattgefunden hatte, sprach vom "Tag nach dem großen Fest", nach dem "wir nun alle wieder in den Alltag gehen". Hatte ich richtig gehört? Alltag? Aus dem komme ich soeben. Es ist der erste Weihnachtstag! Ich bin eigentlich gekommen, um zu feiern! Aber für alle anderen schien das Fest in der Tat vorüber zu sein. Unter solchen Voraussetzungen freilich hätten sich einst die Weisen aus dem Morgenland gar nicht erst auf den Weg zu machen brauchen!



So bleibt mir nun einmal mehr, mit mir selbst und einem kleinen Kreis an Vertrauten und Seelenverwandten mein eigenes Weihnachten zu feiern, wie sich denn auch die Geschichte mit dem Kind in der Krippe, seiner heiligen Patchwork-Familie, den Hirten und den Weisen im kleinen Kreise zugetragen haben mag.

Ihre Botschaft ist geheimnisvoll - und doch im Grunde sehr einfach, nimmt sie doch vorweg, was eben jenes Kind später als erwachsener Mensch lehren sollte. Die Sache vom Himmelreich, das die Kinder bereits in sich tragen, während es den Großen verloren gegangen ist, welches diese nur wiedererlangen können, wenn sie wiederum werden wie die Kinder. Kinder, bevor sie sich den Zwängen der Erwachsenen unterwerfen mussten. Offen, neugierig, großzügig und tolerant. Mit der Fähigkeit zum Staunen, Sich-Vertiefen und Sich-Freuen an kleinsten Dingen. 

Ein Gott, wenn wir so wollen, der Kind wurde, um den Weg zu weisen. Und es gab viele Menschen, die ihm aufmerksam zuhörten, ihm zuhören wollten; niemand hat sie dazu gezwungen. Der Zwang hat erst später in die Kirchen Einzug gehalten. Menschen, welche die Tür zu ihrer Kindheit gewaltsam hinter sich zugeschlagen haben, können sich kein Leben ohne Zwang vorstellen - nirgends, zu keiner Zeit, an keinem Ort der Welt, in keiner Religion.

Ich selbst sehe mich außerstande, mir einen anderen Gott zu denken, als einen Gott der Freiheit. Der nicht fragt nach Herkunft, Hautfarbe, Religion, Besitz, Begabung, Behinderung, sexueller Orientierung oder politischer Überzeugung. Einen Gott der Kinder, der Wanderer und Suchenden. Einen anderen brauche ich nicht. Dessen Ankunft in der Welt möchte ich gern feiern - und könnte dies natürlich ebenso zu jeder anderen Jahreszeit tun, aber wann, wenn nicht jetzt während dieser Tage der "Ruhe der Natur" fände sich Zeit dazu?

Von der Finsternis freilich ist nicht zu erwarten, dass sie das Licht ergreife. Finsternis ist nun einmal finster, sonst trüge sie diesen Namen nicht. Aber uns steht es offen. Und so wünsche ich uns, dass es uns gelingen möge, etwas davon hineinzutragen ins Neue Jahr!

Mit allen guten Wünschen für 2015...

Eure Betty