Sonntag, 22. Dezember 2013

Augenblicke im Advent

"Advent und Weihnachten ist wie ein Schlüsselloch, durch das auf unsren dunklen Erdenweg ein Schein aus der Heimat fällt."

Friedrich von Bodelschwingh



Und wieder reicht es gerade noch zum Innehalten in letzter Minute, bevor eine Zeit zu Ende geht, die ich gerne bewusster begangen und gestaltet hätte, - einfach weil ich sie von Kindertagen her stets liebte, woran auch alles Seufzen über deren kommerzielle Verzerrung und auch das zunehmende Gewahrwerden des Auseinanderklaffens von Wunsch und Wirklichkeit nichts Grundlegendes zu ändern vermochte.

Es blieb bei wenigen Momentaufnahmen, gestohlenen Stunden, wie ein Besuch in meiner Heimatstadt zu einer liebevoll gestalteten Märchenlesung im Burgturm, wo eine Gruppe engagierter Menschen es sich zur Aufgabe gemacht hat, zu Gunsten von Kinderhilfsprojekten eine verlorengegangene Erzählkultur wiederzuleben.

Manches hin und wieder mit verfremdetem Blick betrachten, lässt den einen oder anderen vergangenen Zauber wieder heraufbeschwören. Trugbild? Möglicherweise. Aber welche Bilder betrügen mich nicht, welche erzählen mir schon die ganze Wahrheit - oder das, was ich dafür halte?

"Wo kämen wir hin", mag andererseits mancher mit Recht fragen, "wenn jeder sich nach Pippi-Langstrumpf-Art die Welt machte, wie sie ihm gefällt?" Ja, gute Frage! Wo kämen wir hin? Auf geradem Wege ins uferlose Chaos, wie mancher es uns gerne prophezeien möchte, ohne uns mit Details über das unweigerlich zu erwartende Übel zu verschonen? In den luftleeren Raum, ins Bodenlose? Oder doch vielleicht in eine schönere Welt, eine menschlichere? Wir wissen es nicht, denn es besteht keine Gefahr, dorthin zu kommen, da es nie dazu kommen wird, dass "jeder" dies in die Tat umsetzt. Weil jenen, die es wagen, viele andere gegenüberstehen, die dies schlicht nicht wollen. Oder wieder andere, die es gerne wollten, aber nie die Kraft und den Mut dazu aufbringen würden. Und deshalb wird unsere Gesellschaft die übrige Handvoll "Spinner" und "Phantasten"auch weiterhin aushalten, ohne dass ihr Gefüge deshalb Schaden nimmt.

Aber ich wollte von gestohlenen Stunden erzählen. Von Spaziergängen im schönsten Dezemberlicht. Ein goldener, lichtgefluteter Sonntagnachmittag auf dem Maulbronner Klosterberg, - Zauber der stillen Winterwege. Besuch bei der 250-jährigen Linde, die viele meiner geliebten Dichter noch auf ihren Spaziergängen sah. Sahen sie auch ihn? Gewahrte der junge Hölderlin den damals jungen, wohl noch sehr unscheinbaren Baum? Wie nahm der Baumfreund Hesse die einst 100-jährige Linde wahr? Wir wissen es nicht, können es nur ahnen.




Staunen beim näheren Hinsehen: Das Laub ist vollständig gefallen, hat zarte Knospen an kleinen, aus der zerfurchten Rinde ragenden Zweigen freigelegt, die den alten Riesen außer von versunkenen Zeiten auch vom künftigen Frühling erzählen und so eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft entstehen lassen. Doch was ist die Gegenwart, und was sind zurückliegende und kommende Zeiten anderes als eine Aneinanderreihung von Augenblicken?






Sich sodann mit Einbruch der Dämmerung ins Innere der Mauern begeben,während der Stunde "zwischen Tag und Traum", die allem, was sich in ihr zuträgt, besonderen Glanz verleiht. Auch dieser flüchtig, gewiss. Unaufdringlich auch, was seine Erscheinung zu einer angenehmen macht.

Beim Stöbern im Buchladen fand ich jenen kleinen Literaturfreund, zwischen den Regalen am Boden sitzend, selbstvergessen in seine Lektüre vertieft, sich eigene Geschichten "vorlesend", die sich wohl mit dem eigentlichen Inhalt des Buches messen konnten, wenn sie ihn nicht gar übertrafen. Liebgewordener Satz, der während der Arbeit mit Kindern oft fällt: "Du sollst vor-le-sen!!!" Gesammelte Hoffnungsfunken, Augenblicke, in denen das Hinforteilen der Zeit - wohl nicht anzuhalten, dies wäre sicherlich zu viel verlangt, aber zumindest - innezuhalten scheint.

Möge uns in diesem Sinne mancher Zauber dieser und künftiger Tage wenigstens immer wieder für Augenblicke gegenwärtig sein, möge dann und wann ein Schein durch das Schlüsselloch auf unseren - mal mehr, mal weniger - dunklen Erdenweg fallen!

Mit allen guten Wünschen für die kommenden Festtage und das Neue Jahr...

Eure Bettine

Sonntag, 24. November 2013

November-Elegie



Auch im Herbst
singen die Vögel
dies auserwählte Volk
Wir Maskenträger
haben verlernt
zu lauschen
dem Amselgespräch
und der innern Musik
Herbst
der freundliche Feind
Leg deinen Raum
in den Rahmen
der Zeit

Rose Ausländer (Herbst)


Schon lange wollte ich gern etwas mit dem Titel "November-Elegie" schreiben - nenne es eine Marotte - und natürlich traue ich mich dies offiziell nicht, da es - wie ich mutmaße - längst zu vieles gibt, das diesen Namen trägt. Aber hier in meinem - beinahe - privaten Blog darf ich solches wagen. Liest ja niemand...

An das Gedicht Rose Ausländers fand ich mich erinnert, als ich nach dem Abzug der Stare, deren unbekümmertes Schwatzen ich schmerzlich vermisse, morgens erstmals den melodischen, perlenden Gesang des Rotkehlchens hörte, welches sich unbeeindruckt von der Novemberwitterung auf einem der gegenüberliegenden Dächer niedergelassen hatte. Das Rotkehlchen, ein unverdrossener Wintersänger, der mir die lichtarmen Tage erträglich machen wird. Auch das leise, wie entfernt klingende Amselgezwitscher, zweckfrei vorgetragen, geschlossenen Schnabels mit unbeteiligter Miene: Ein Geheimnis des Herbstes, der weiter fortschreitet, um unmerklich dem Winter Platz zu machen. Freundlicher Feind? Er ist zu schnell vergangen, dieser Herbst, hatte zu wenig Raum im Rahmen der Zeit. Und mir liegt der Gedanke nahe: Möge der Winter es ihm gleich tun! Aber sogleich erinnere ich mich an versöhnlichere Töne, die ich diesem gegenüber einst anschlug, als ich schrieb: Er bringt uns die Ruhe zurück. Uns, die wir verlernt haben zu lauschen. Maskenträger, wir. Die wir zugeschüttet sind mit Lärm, gelernt haben, diesen an uns abgleiten zu lassen, - auf Kosten unserer Sensibilität für die leisen Töne.

Aufschlussreiche Beobachtung während einer mit Kindern im Vorschulalter erprobten Klangwerkstatt. Anfangs faszinieren besonders die lauten Instrumente. Selbst nach Herzenslust laute Töne erzeugen dürfen baut Spannungen ab, nimmt etwas von dem Druck, welcher durch den Lärm entsteht, der normalerweise von außen auf die Kleinen eindringt, ohne dass sie die Möglichkeit hätten, sich dagegen zu wehren. Nach einer gewissen Zeit beginnen auch die leiseren Klänge wieder ihr Interesse zu wecken, sie üben sich neu im Hinhören und Lauschen. Und mir drängt sich der Gedanke auf: Wie können sie sich schützen vor dem Lärm, den die Großen ihnen unausgesetzt zumuten? Jene Großen, die von den Kleinen so oft fordern, still zu sein, sich ruhig zu verhalten?

Das Elegische will allein Klage nicht sein, abgesehen von jener um zerrinnende, unwiederbringlich verloren gehende Zeit. Ich verbringe die Tage in Gesellschaft einer hochbetagten Katze; ihr Schnurren begleitet mein Schreiben; ich versehe sie mit neuen Namen, nenne sie "Spinnrädchen", "Nähmaschine" und "Samt-Tiger". Die Katze ist "nur geliehen", was nichts zur Sache tut, denn was ist nicht alles Leihgabe von dem, was wir gern unser eigen nennen? Auf ihre Ohren ist Verlass. Sie liebt Musik von Vivaldi und Mozart. Und sie kann das Motorengeräusch meines alten Diesels unfehlbar identifizieren, kommt mir zur Begrüßung entgegen, sobald ich vorgefahren bin. Aber auch sie hat elegische Anwandlungen, Stunden, während derer sie, von sichtbarer Unruhe getrieben, auf geheimnisvolle Weise in der Nacht verschwindet oder sich am helllichten Tage in einem finsteren Winkel des Heizungskellers verschanzt, nicht ansprechbar ist, mir entgegen schaut wie eine Fremde und mich nicht an sie heranlässt. Irgendwann findet sie sich wieder vor  meiner Tür ein, als sei nichts gewesen. "Auch in meinem Katzenleben hat es Dinge gegeben, die mir manche Tage zu schaffen machen, von denen Du als Nicht-Schnurrhaarträgerin nichts ahnen kannst", bilde ich mir ein, in ihrem Blick zu lesen. Womit sie wohl Recht haben mag. Und so lassen wir uns gegenseitig unsere Marotten und Befindlichkeiten, nach dem Motto: Leben und spinnen lassen.

Ansonsten in der Tat zu wenig Raum im Rahmen der Zeit, um den Herbst zu genießen. Vereinzelte "gestohlene Tage", wie eine Stippvisite ins Siebengebirge zu einer meiner Lieblingsruinen, der Löwenburg, die eine traumhafte Kulisse für einen kurz währenden herbstlich-goldenen Sonnenuntergang über dem Rheintal bot.










Einer der unzweifelhaften Vorzüge, die der November aufzuweisen hat, ist der, manche Orte, die sonst von Besucherströmen heimgesucht sind, nahezu für sich allein zu haben. Das spätherbstliche, still gewordene Maulbronn, sakraler und literarischer Ort, lässt besonders in dieser Jahreszeit eine Ahnung früherer Tage vor dem inneren Auge erstehen, im Schatten der dunklen Sandsteinmauern stehend, dem Flüstern lange verklungener Stimmen lauschend. Für einen Lidschlag scheint hin und wieder ein kurzer Blick durch den Vorhang der Zeiten möglich, bevor der Novembernebel alle Bilder und Trugbilder wiederum verhüllt und es uns rückblickend schwer macht, sie voneinander zu unterscheiden.




Der Blick wird magisch angezogen von einem Transparent: "Adventskalender-Ausstellung". Die schwere Tür zu der mächtigen ehemaligen Zehntscheune öffnen, sich im Dunkeln wiederfinden, schon glauben, im falschen Raum zu sein, dann hinter einer weiteren Tür Licht, Eintauchen in eine über hundertjährige Welt des Vorweihnachtszaubers, enges Beisammensein von Kitsch und Kunst, Faszination - aber auch Gruseln über Dokumente ideologischer Vereinnahmung zu unseligen Zeiten im Lauf der Geschichte.

Adventskalender - Zeugnisse verlogener Sentimentalität, Heraufbeschwören einer Idylle, die es nie gegeben hat? Oder schlicht eine Hommage an die kindliche Freude am Geheimnis, - auch wenn es lediglich um bunte Bildchen hinter Papptürchen geht? Sinnbild für die tief verwurzelte Sehnsucht nach Fenstern und Türen, die sich zu gegebener Zeit öffnen lassen, um hinter die sichtbaren Dinge schauen zu können? Deutungsversuche, die möglicherweise scheitern, während ich bei Kaffee und Nusstorte in einem nahegelegenen Café meine neu erworbenen Schätze - wie so oft sind Museumsladen und Buchhandlung Nutznießer meiner Stöbereien - betrachte: Ein Reprint eines schlichten Adventkalenders von 1946 und ein nostalgisches Glasmurmelspiel in einem putzigen Schächtelchen.




Nicht zuletzt ist diese Jahreszeit Lesezeit, könnte es umso mehr sein, wenn weniger andere Dinge zu tun wären. Immerhin reichte es zu einer neuen Buchbesprechung zu Lukas Hartmanns "Abschied von Sansibar" - Diogenes Verlag, die bei Glanz & Elend erschien und auch in unserem Blog nachgelesen werden kann: Prinzessin ohne Land. Als nächstes plane ich, mich der bei Fischer neu erschienenen Anne-Frank-Gesamtausgabe etwas ausführlicher zu widmen.

Am 1. Dezember jährt sich der Todestag Christa Wolfs zum zweiten Mal. Ich vermisse sie sehr, ebenso Sarah Kirsch, die im Mai dieses Jahres verstarb. Zwei große Schriftstellerinnen, ganz unterschiedlich in Wesensart und Stil, beide unersetzlich. Das Schmökern in Sarah Kirschs ganz besonderen Tagebuchnotizen - wie "Krähengeschwätz", "Regenkatze" und "Märzveilchen"- ist seit Wochen meine bevorzugte Abendbeschäftigung. Zu Christa und Gerhard Wolf erschienen beim Ullstein Verlag unter dem Titel "Sei dennoch unverzagt" aufgezeichnete Gespräche, geführt und herausgegeben von ihrer Enkelin, der Journalistin Jana Simon, - ein interessanter Austausch der Generationen. Für Winterlektüre ist also reich gesorgt. Mögen sich lediglich noch die dafür notwendigen Musestunden finden!

Und ungeachtet jährlich neu belebten inneren Grolls über Verlogenheit und Konsumwahnsinn der Weihnachtszeit freue ich mich darauf, mein im Frühjahr neu bezogenes Dachdomizil erstmals für den bevorstehenden Advent zu dekorieren...

In diesem Sinne wünsche ich uns allen Mut und Kreativität, unsere persönliche Adventszeit nach jeweils eigenen Bedürfnissen individuell zu gestalten - und die Rolle der Gehetzten und von falschen Erwartungen Getriebenen konsequent von uns zu weisen!

Herzliche Grüße

Bettine

Sonntag, 6. Oktober 2013

Herbsttage - Herbstwege

O trübe diese Tage nicht,
Sie sind der letzte Sonnenschein,
Wie lange, und es lischt das Licht
Und unser Winter bricht herein.

Dies ist die Zeit, wo jeder Tag
Viel Tage gilt in seinem Wert,
Weil man's nicht mehr erhoffen mag,
Dass so die Stunde wiederkehrt.

Die Flut des Lebens ist dahin,
Es ebbt in seinem Stolz und Reiz,
Und sieh, es schleicht in unsern Sinn
Ein banger, nie gekannter Geiz;

Ein süßer Geiz, der Stunden zählt
Und jede prüft auf ihren Glanz –
O sorge, dass uns keine fehlt,
Und gönn' uns jede Stunde ganz.


Theodor Fontane














Und schon beginnt der Herbst, Farbe zu bekennen, wenn auch das Grau derzeit zu überwiegen scheint. Noch ist es die Zeit der reifenden Früchte und leuchtenden Asterngärten. Zeit, von Hagebutte, Schlehe und Birne gesäumte Herbstwege zu gehen, geizig die Stunden zählend. 

Bleibt die Frage, inwieweit sich durch Geiz die Zeit am Zerrinnen hindern lässt. Vielleicht sollte man den Spieß herumdrehen und sie stattdessen verschwenden? Es käme nur darauf an, wofür. Zumal ich zu wissen meine, dass es sich beim Problem der stets fehlenden Zeit mehr um das des Sich-Verzettelns handelt. Des zeitgleichen Beginnens zu vieler Dinge, der damit einhergehenden geteilten Aufmerksamkeit und der Unmöglichkeit, sich einer Sache ganz zu widmen. Das unausgesetzte schlechte Gewissen, während ich das eine tue, das andere zu vernachlässigen, welches oft dazu führt, dass ich mich am Ende keiner Sache ungeteilt widme.

Seit ich in meiner hellen Dachwohnung lebe, in die auch bei grauem Wetter noch ausreichend Tageslicht fällt, habe ich begonnen, das prasselnde Geräusch des Regens auf den schrägen Fenstern zu lieben, zumal mir der betagte Kater des Hauses häufig schnurrende Gesellschaft leistet. Wie konnte ich so lange ohne Katzen leben? Ich weiß es nicht. Die hohe Tanne vor dem Fenster findet sich hingegen besetzt von einem Schwarm fröhlich lärmender Stare, die sich mit dem Imitieren von Stimmen unterschiedlichster Vogelarten unterhalten. An mein Ohr dringen Rufe von Lerchen, Blässhühnern, Bussarden, Pirolen, - selbst ein Kuckuck ist zu vernehmen. Fast könnte es ihnen gelingen, mich zu närren, wenn ihr Schwatzen sie nicht verriete. Dann wie auf ein Signal plötzliches Verstummen, ein Rauschen von vielen Flügelpaaren, und schon ziehen sie weiter, wohin es ihnen gefällt.

Solches will mir nun nicht vergönnt sein; ich werde also einiges zu ordnen haben, um mich im Herbst erträglich einzurichten. Meine Kerzen zusammensuchen, die Teevorräte prüfen, Bücher umstapeln. Aufgeschobenes erledigen, um mich Neuem zuwenden zu können. Über dem Sommer Versäumtes nachholen. Einige überfällige Buchbesprechungen schreiben. Wie immer unter langem Zögern und Zaudern. Zu groß ist mein Respekt vor dem geschriebenen Wort und ebenso vor allen, die sich der Mühe des Schreibens unterwerfen. Jedoch mag ich nicht davon lassen, im Gedenken an vorangegangene Autoren - Virginia Woolf, Hermann Hesse... - die am Schreiben von Rezensionen die Möglichkeit des Blicks über den Tellerrand und die beständige Erweiterung des eigenen Horizontes schätzten, sowie das Trainieren der Fertigkeit, aus einer vielfältigen Fülle das Wesentliche zu erfassen.

Ich freue mich über das Erscheinen der Besprechung zu meiner Sommerlektüre "EinTeelöffel Land und Meer" von Dina Nayeri im Magazin für Literatur und Zeitkritik Glanz und Elend, welche auch in unserem LiteraturFreundIn-Blog unter dem Titel Die Kraft des Erzählens zu finden ist.

Weitere Projekte laufen, warten jedoch noch auf den passenden Zeitpunkt zur Ausführung. Einstweilen ziehe ich an Herbstlichem Bewährtes aus der Schublade, so meinen einstigen Blogbeitrag Herbstgedanken in LiteraturFreundIn und unsere literarische Spurensuche nach dem Rodensteiner, jenem sagenumwobenen, spukenden Ritter des Odenwaldes, mit dem sich u.a. einst Viktor von Scheffel und Werner Bergengruen befassten.

"Und gönn uns jede Stunde ganz."

Ein Wunsch, den ich weitergeben möchte: Neben der Arbeit, die uns fordert, stets Zeit und Muse finden für Wanderungen in die Natur und - natürlich! - für Bücher, Bilder und Musik!

Herzliche Grüße

Eure Bettine

Donnerstag, 12. September 2013

Am Ende eines sehr großen Sommers

Herr: Es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren
und auf den Fluren laß die Winde los.

 
Befiehl den letzten Früchten reif zu sein
gib Ihnen noch zwei südlichere Tage
dräng sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.


Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr
wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird lesen, wachen, lange Briefe schreiben
und wird auf den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.


Rainer Maria Rilke







Am Ende eines sehr großen Sommers stehen wir in der Tat - und tun uns schwer mit dem September - und dem Aktionismus, der diesem stets anhaften will. Neubeginne vorschützt, die in Wirklichkeit keine sind. Schon früher mochten wir ihn nicht sehr; es war der Monat, in dem die Schule begann, was an sich nicht schlimm gewesen wäre, denn wie oft startete man energiegeladen und hoffnungsfroh auf einen neuen Anfang, - um nur nach wenigen Tagen bitter enttäuscht festzustellen, dass sich nichts grundlegend geändert hatte, und wir uns in einer Zeitschleife wiederzufinden meinten: "Und täglich grüßt das Murmeltier!" Dass sie uns eingeholt hatten, jene bleischweren, zähflüssigen Tage, die uns lähmten und zu Boden zogen, uns die Energie nahmen, so dass wir uns fragten: Wie kann dies sein?


Der September hat selten Gutes im Gepäck, bevorzugt beginnen in ihm irgendwelche neuen Kriege, eröffnen neue Schauplätze des Grauens, als wenn es an ihnen auf diesem Erdball irgendeinen Mangel gäbe. Und diejenigen, die ein persönliches Interesse damit verfolgen, wollen uns einreden, diese müssten sein und brächen nun einmal aus. Aber wir wissen es besser: Kriege - heiß oder kalt - brechen nicht aus, sie "passieren" nicht einfach so. Sie werden angezettelt! Und diese Erkenntnis ist nicht unbedingt dazu angelegt, uns froher zu stimmen. 

Der Sommer hingegen hat uns entschädigt für einen lichtlosen, grauen Winter und einen Frühling, der zu spät kam und zu kurz währte, um den wir uns betrogen fühlten. Jedoch während desselben bezog ich neue vier Wände, was mir zudem das Glück bescherte, nun mit einer Katze - oder genauer gesagt: einem Kater - unter demselben Dach zu leben, der mehrmals täglich bei mir vorbeischaut, seinen hellen Lieblingsplatz an meinem Tisch unter dem Dachfenster einnimmt und mir schnurrend beim Arbeiten Gesellschaft leistet, so dass ich sogar das Prasseln des Regens auf den Scheiben zu lieben und als Musik zu deuten begonnen habe. 


 
Es folgte ein Juni, wie ich ihn nur aus früheren Tagen in Erinnerung hatte, trocken-heiß, mit einem unwirklich hohen Himmel über dem frischen Grün der Wälder und Felder. Klare Luft mit Fernblick zu den Hügeln der Mittelgebirge. Lerchengesang und das Summen von tausend Bienen und Hummeln in den hellen Wipfeln der blühenden Robinien. Heckenrosen aller Schattierungen entlang des Weges, leuchtender Mohn, in versteckten Winkeln Wiesen voller lange entbehrter Wildblumen mit unwirklich anmutenden Namen wie Kuckuckslichtnelke, Schafgarbe, Skabiose und Klappertopf. Silbern im Licht flimmernde Gräser. Tiefblaue Falter treten zum Himmel in Konkurrenz. Der Gesang einer Dorngrasmücke in der Hecke. Bittersüßer Duft des Holunders. Frosch- und Grillenkonzerte, vielstimmig, an den Teichen. Blaugrüner Libellentanz im schwertliliengelben Schilf. Altehrwürdigen Bäumen ihre Geschichten ablauschen. Lange währende, helle Dämmerungen.



 

Dann der Julihimmel, wegwartenblau, storchschnabelviolett, Mauerseglern die Kulisse für deren Kunstflug bietend, für Fernweh sorgend: nach Augusttagen am Meer. Diese alsbald im Mecklenburgischen verbracht - Seewind, Kiefernwälder, Heidesand - und die Entschleunigung des Landlebens genossen. Lange aufgeschobene Begegnungen mit lieben, alten Freunden und Gewinn vieler neuer Erkenntnisse, an welchen der Sommer insgesamt sehr reich war.



Steilküste auf Fischland



Warnowdurchbruchtal





An der Warnow bei Klein Raden


Windmühle Ruchow


Die wichtigste Gewissheit, die sich einstellen wollte: Jene, die richtigen Entscheidungen getroffen und den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, den es sich weiterzuverfolgen lohnt. Und der Vorsatz, mich nicht beirren zu lassen. 


Was Herausforderung bleibt: Die Balance finden zwischen Leben und Schreiben. Die Idee zu diesem Blog, an den ich mich trotz Zeitmangels wagen will, entstand, nachdem ich auf meiner Homepage Betty's Corner leider alle interaktiven Seiten schließen musste, da ich mich der Spams nicht mehr anders zu erwehren wusste. Auch ließen sich die Blogs auf der Website nur mit sehr viel Aufwand pflegen. Neben unseren aktiven literarischen Blogs LiteraturFreundIn und Betty's Büchergarten  führte Betty's Corner eher eine Existenz am Rande. Dies ist nun ein Versuch, die Seite wieder mit Leben zu füllen und neben Literarischem auch Platz für Persönliches zu finden, das über die üblichen kurzen Postings in den Sozialen Netzwerken hinausgeht.

So dies nun als Versuch, uns im Herbst einzurichten und auf die Vorgänge um uns herum ein kritisches Augenmerk zu behalten.

Auf bald, mit herzlichen Grüßen!

Bettine