Sonntag, 23. Dezember 2018

Vom Nichtfernesein der Weihnacht und der bleibenden Sehnsucht als Voraussetzung...


Ich sehn' mich so nach einem Land
der Ruhe und Geborgenheit

Ich glaub', ich hab's einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
daß alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei's Sonnnenstrahl,
daß Regen, Schnee und jede Wolk,
daß all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muß gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön'
ein's jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und werd' still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, das war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb' bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!

Verfasser unbekannt



Es verhält sich merkwürdig mit diesem Gedicht. Irgendwann ist es in den unergründlichen Weiten des Internets aufgetaucht und wurde und wird dort fälschlicherweise Hermann Hesse zugeschrieben. Ein Dichter, der mir besonders nahe steht, in dessen Briefen - inzwischen unentbehrliche Abendlektüre - ich lese wie in Briefen eines in jedem Lebensalter sehr nahen Freundes, der alles, was mich beschäftigt, aus eigenem Erleben kennt und nun sozusagen mit mir, der drei Jahre nach seinem Scheiden aus der Welt in dieselbe Geworfenen, im Nachhinein durch Dick und Dünn geht. Es hätte durchaus von ihm sein können. Auch er konnte während seines Lebens alle Facetten dieses Festes kennenlernen und ausloten, den Kindheitszauber ebenso wie den Überdruss und Ekel, die das arg verzerrte Weihnachtstreiben in der modernen Zeit und einer weiterhin sehr unfriedlichen Welt geradezu zwingend mit sich bringt. Wir entgehen all dem nicht. Und es gibt andere schöne Gedichte und treffende Aussagen von ihm, aus denen ich gern viel öfter zitieren würde, aber dies aus Gründen des Urheberrechts nicht so ohne Weiteres darf und deshalb zumeist auf ältere - vor mehr als 70 Jahren verstorbene - DichterInnen zurückgreifen muss - oder mich selbst im Dichten versuchen, was nicht immer auf Anhieb gelingen kann. So kommt es mir sogar zupass, dass jenes Gedicht nachweislich nicht von ihm stammt. Einen unbekannten Verfasser - oder eine Verfasserin - darf ich zitieren, jedenfalls hoffe ich das. Und ihm - oder ihr - damit vielleicht ein wenig von der Ehre erweisen, die ihm - oder ihr - zweifellos gebührt, denn zahlreiche Menschen ließen und lassen sich von diesem Weihnachtsgedicht berühren, wie seine Popularität zeigt.

Denn wir kennen es ja: Je ungebrochener unser Heimweh nach dem unschuldigen Zauber aus Kindertagen, desto größer unser Leiden an der Kluft zwischen dem, was sein könnte und dem, was ist. Genau dies, fühle ich, kennzeichnet unser Leiden an diesem Fest, das sich uns mehr aufs Gemüt legt als jedes andere: Wir nehmen wahr, wie entfernt wir sind von all dem, nach dem wir uns sehnen. Das große Weltall, in dem wir zuhause sind, klammern wir aus, während wir mit unseren täglichen Kleinkrämereien beschäftigt sind. Es wahrzunehmen erfordert ein Zur-Ruhe-kommen, zu dem wir in unserer unruhigen Welt kaum mehr fähig sind. Einer, der für gewisse Zeit einen Blick ins All und auf unseren Planeten sozusagen "von oben", das es ja im All so gar nicht gibt, werfen konnte, der erst vor wenigen Tagen wieder glücklich gelandete Alexander Gerst, der ganz in meiner Nähe zuhause ist, schildert es so:

"Wenn man die Erde von oben sieht, merkt man wie verletzlich unser Planet ist."


Erschreckend dünn ihre Atmosphäre, mit der wir alles andere als gut umgehen, groß und tief die Wunden, die wir ihr geschlagen haben. Und wir merken: Die Veränderung, die wir uns so sehr wünschen, muss aus uns selbst kommen! Dies erfordert, dass wir zunächst zur Stille finden, uns öffnen und all dies in unser Inneres einlassen. Hierzu brauchen wir den Kosmos noch gar nicht mal bildlich zum "Mikrokosmos" einzuschrumpfen, um ihn sozusagen en miniature in uns zu tragen. Das Herz ist weit. Es fasst vieles, wenn wir es zulassen.

Hierzu nun einer, mit dem ich den Geburtsort gemeinsam habe und den ich zitieren darf:



So du
Mich aber fragest

So weit das Herz
Mir reichet, wird es gehen.

Friedrich Hölderlin



In diesem Sinne wünsche ich euch Lieben allen friedevolle Festtage und einen guten Jahreswechsel!







Der vergangene Herbst ließ mir kaum Atem zum Schreiben, dafür viel Heimweh nach der Ferne, nach Meer und Weite. Die schönsten Bilder meiner Rundreise über die Lüneburger Heide - siehe mein vorangegangener Beitrag über den Besuch der Gedenkstätte Bergen-Belsen -, Lübeck, die Insel Rügen und Jena - weitere finden sich im letzten Post von Betty's Kids' Corner - mag ich euch nicht vorenthalten, lasse sie hier still für sich sprechen.


Hansestadt Lübeck - Rathaus


Das Buddenbrookhaus in Lübeck





Hansestadt Lübeck - St. Marien


Fensterblick aus dem Buddenbrookhaus
aufs Kanzleigebäude


Lübeck - An der Untertrave




Hansestadt Lübeck - Holstentor


Insel Rügen -
Nachmittagslicht über dem Wieker Bodden bei Dranske


Insel Rügen - Lindenallee in Nipmerow bei Lohme


Insel Rügen -
Birken am Kleinen Jasmunder Bodden bei Lietzow


Insel Rügen - Wo die Welt scheinbar zu Ende ist...
Naturinsel Ummanz bei Tankow


Insel Rügen -
Maler Herbst auf dem Königsstuhl


Insel Rügen -
Die Stubbenkammer im Herbstgewand


Insel Rügen -
Herbstlicher Meerblick vom Königsstuhl


Insel Rügen - Am Hochuferweg Jasmund













Und nochmal zum Genießen:

Maler Herbst an Rügens Kreideküste im Video...













Insel Rügen -
Am Hochufer von Kap Arkona


Insel Rügen -
Auf dem Leuchtturm Arkona


Insel Rügen -
Blick von oben auf den Schinkel-Leuchtturm
Kap Arkona


Insel Rügen -
Das Fischerdorf Vitt
Insel Rügen - Kapelle Vitt


Insel Rügen -
Auf dem Westuferweg bei Lohme




Insel Rügen -
Am Westuferweg Lohme


Unterwegs zum Meer -
Bach am Lohmer Westufer bei Blandow


Insel Rügen - Lindenallee bei Lohme


Und zum guten Schluss:
Ein Sonnenuntergang
mit Schwänen und Kranichen
am Großen Jasmunder Bodden...














Ausklang in Jena -
Schillers Gartenhaus & Garten



Schillergarten Jena -
Sternwarte & Gartenzinne



Jena - Steintisch in Schillers Garten
„In dieser Laube haben wir oft an diesem alten Steintisch gesessen und so manches gute und große Wort miteinander gewechselt“

Johann Wolfgang von Goethe

(1827 an Eckermann)















Das moderne Jena spiegelt sich im historischen... -
Gartenzinne im Schillergarten



Auf dass auch ihr einen reichen Schatz an inneren Bildern haben mögt, die uns helfen, durch den Winter zu kommen...

Mit allerbesten Wünschen für Weihnachten und das Neue Jahr
2019...

Betty


Mittwoch, 17. Oktober 2018

Kein Entkommen - Gedanken beim Besuch der Gedenkstätte Bergen-Belsen im Oktober 2018

Kein Entkommen…

Sich schämen, nicht herzukommen.
Sich schämen, herzukommen.
An unseligem Ort
Umherzugehen,
Voyeuren und Gaffern gleich.
Betroffene Miene zur Schau tragend,
Gewollt oder nicht.
Ich: Nachgeborene von Täterinnen und Tätern
Im schlimmsten,
Feigen Mitläuferinnen und Mitläufern
Im „besten“ Fall.
Aus dem Totschweigen kommend.
Nichts begreifend.
Keine „angemessene Haltung“ finden.
Kein Entkommen vor der Scham!

© Bettina Johl

























Für Anne

Die Gräber
Der einst Satten
Zieren Nelken,
Gerbera
Und Chrysanthemen.


Deines –
Und zugleich das
Der vielen tausend
Verhungerten,
Verdursteten,
Misshandelten,
Zerschundenen,
Hingemordeten,
Denen Du
Stellvertretend
Eine Stimme gegeben hast –
Zieren Heidekraut,
Wacholder
Und junge Birken.

Vielleicht muss es so sein.
Vielleicht ist es
In Deinem Sinne.
Und vielleicht ist die Natur
Als Einzige
Berechtigt
Zu Gesten der Versöhnung.

© Bettina Johl


Anlässlich eines Besuchs der
Gedenkstätte Bergen-Belsen
im Oktober 2018

#NieWieder

#NeverAgain

Sonntag, 29. Juli 2018

Im Juli


Im Juli
wird es mir zu viel
steig ich aus
mach mich still davon
auf hitzemüden Pfaden
wegwartengesäumt.

Im Juli
spiel ich nicht mehr mit
einmal mehr
begrab ich März-April-Mai-Juni-Träume
unter verblühten Linden
im Hochsommerstaub.

Im Juli
vergieß ich Tränen
um verstummenden Vogelgesang
sehn mich nach Schmetterlingsflug
trete ihn nicht an
mag den Preis nicht bezahlen. 

Im Juli
bin ich nicht zuhaus
trauere um Nichtgewesenes
verlange trotzig meinen Frühling zurück
nehme der Sonnenblume ihr Lachen krumm
und spinne Herbstgedanken.

© Bettina Johl

Habt einen schönen Sommer -
und mögen Eure Reisewege stets von blauen Blumen gesäumt sein!

Liebe Grüße

Betty


Montag, 21. Mai 2018

Vom festlich glänzenden Himmel und den Farben der Erde - und vom im Unbegrenzten doch Einbeschlossensein im Kleinsten...

Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen! es grünten und blühten
Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken
Übten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel;
Jede Wiese sproßte von Blumen in duftenden Gründen,
Festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.

Johann Wolfgang von Goethe
(Aus: Reineke Fuchs)

Das liebliche Fest, es gibt sich in diesem Jahr eher verregnet - jedoch ein wohltuender Mairegen in einem ansonsten warmen, sonnigen, farbenreichen Frühling mit festlich heiterem Himmel - und ich verbringe den Tag schlafend, lesend, traumwandelnd, schreibend.



Diese Aufnahmen vom "farbigen Glanz der Erde" hingegen entstanden am Muttertag im Garten meiner Mama. Nun ist meinem Mummelchen und mir dieser Tag mit seinen scheinheiligen Verbrämungen eher ziemlich schnuppe, aber zu welchem Anlass soll ich ihr denn dann Rosen für ihren Garten schenken, ohne dass sie mit mir schimpft?

Ein Garten, in dem übrigens alles wachsen darf, alles sein Plätzchen findet, ohne einander zu stören, auch der sonnengelb leuchtende Hahnenfuß auf der Wiese unter dem Kirschbaum, - übrigens auch die Brennnesseln unter dem von Rosenbüschen eingerahmten Holunder, die Schmetterlingen eine Heimat geben. Salbei und Lavendel zwischen Rosen und Akelei halten Schädlinge gering und ziehen Nützlinge an.



 
Bienen und Hummeln danken es ebenso, wie die zahlreichen Singvögel, die in den hohen Fichten und im Feldahorn brüten, an beerenreichen Sträuchern und zusätzlichen Futterplätzen Nahrung finden und mehrere Vogelbäder zur Verfügung haben.

"Und ich wundere mich", sage ich zu meiner Mum, "wo all sie alle hin sind, die als verschwunden beklagten Insekten und Vogelarten. Sie sind alle bei dir im Garten!" Gift kommt meiner Mama nicht in die Tüte. Und so ist ihr Garten zu einem Exil geworden, derer es leider immer noch zu wenige gibt. Ein Exil für die Natur, die uns Menschen nicht braucht, wir aber sie. Oft gehört, aber nie genügend verinnerlicht. Und bis wir es endgültig kapiert haben werden, ist es vielleicht zu spät.























"Nun, da ich doch merke, dass ich älter werde und doch manchmal mit schlechtem Gewissen Fünfe gerade sein lasse, blüht alles erst richtig schön, das hätte ich gar nicht gedacht", erzählt meine Mum, "je weniger ich eingreife, umso mehr überrascht mich mein Garten."


















Und so ist auch mir ein einst wenig geliebter Ort doch noch zu einem Stück Heimat geworden. Denn als meine Eltern, damals mit meinem Bruder und mir, in dieses Dorf zogen, war ich vierzehn Jahre alt und krank vor Heimweh nach der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, die auch die Stadt eines Dichters ist, den ich erst später richtig kennen- und schätzen lernte. Heute mag ich beide Orte - und möchte sie nimmer missen.










Denn um das Dorf liegen Streuobstwiesen, Naturrefugien, die anderswo längst verschwunden sind - und ich hoffe so sehr, dass es sich seiner Schätze bewusst wird und sich für ihren Erhalt einsetzt!

Einstweilen lade ich euch ein zu einem rückblickenden Spaziergang durch die Baumblütezeit diesen April. Lasst euch verzaubern!


















































Unterwegs auf grünen Schwarzwaldwegen...
Eine Frühlingswanderung im Schwarzwald führte mich über Höhenwege und imposante Felsen zu atemberaubenden Aussichtspunkten über dem Murgtal und seinen Seitentälern - und immer wieder zu eindrucksvollen Baum-Begegnungen.








Rotbuche trifft Rottanne





Birke auf dem Flachsland über Gernsbach-Reichental


Eiche auf dem Flachsland über Gernsbach-Reichental




Hinauf zur Elsbeth-Hütte...





















Aussicht von der Elsbeth-Hütte ins Murgtal





Besenginster in Blüte




















Ausblick vom Rockertfelsen übers Murgtal


Eiche in Blüte
Und immer wieder sind es diese Momente zwischen Himmel und Erde im Einklang mit der Natur, die all unsere täglichen Kümmernisse klein erscheinen lassen und uns helfen, uns wieder auf das Wesentliche zu besinnen.














Blick ins Reichenbachtal


Das Wunder von Pfingsten übrigens ist das der geeinten Sprache. Die Voraussetzung für Einander-zuhören. Einander Fragen stellen. Sich die Geschichte des anderen erzählen lassen. Wichtiger denn je, wenn wir spaltenden Kräften etwas entgegensetzen und uns nicht von ihnen vergiften lassen wollen!












In diesem Sinne - Vergissmeinnicht!














 


Einstweilen werde ich während einiger freier Tage mit neuer Hingabe das tun, was ich eigentlich will: Schreiben. Von dem ich merke, dass es mehr mit all meinen anderen Tätigkeiten, von denen ich ja unter anderem auch leben muss, kollidiert, als mir lieb ist. Dies hängt sicherlich vor allem damit zusammen, dass ich derzeit alles, was ich tue, liebe. Was das Leiden daran zuweilen einschließt. Das war nicht immer der Fall. In früheren Tagen hatte ich eine Arbeit, die ich über weite Strecken nicht liebte. Solches möchte ich nicht wieder durchleben. Dann eher doch die Spannung, die sich aus dem Jetzt ergibt, aushalten und Projekte weder überstürzen noch sie zu schnell verwerfen. Sie dann eben zu Lebensprojekten werden lassen. Die somit die Chance stetiger Weiterentwicklung und Verbesserung erhalten...








Non coerceri maximo, contineri minimo, divinum est. 


(Nicht begrenzt werden vom Größten
und dennoch einbeschlossen sein vom Geringsten,
das ist göttlich.)

Grabinschrift des Ignatius von Loyola
und Leitsatz für Hölderlins Hyperion

Ich wünsche allen meinen Leserinnen und Lesern erfüllte Pfingsttage!

Betty